Hyman Minsky und die MMT (Teil 2)
Für souveräne Staaten gibt es weder eine Pleitegefahr noch finanzielle Beschränkungen. Dennoch war es für den US-Ökonomen Hyman Minsky entscheidend, wofür der Staat sein Geld ausgibt.
Schon lange vor der Entstehung der MMT hatte Hyman Minsky festgestellt, dass einem souveränen Staat, der seine eigene Währung emittiert, niemals „das Geld ausgehen“ kann – er also niemals in einen unfreiwilligen Zahlungsausfall getrieben werden kann, sondern immer in der Lage ist, alle fälligen Zahlungen zu leisten. In einem im Jahr 1960 verfassten Beitrag On the National Debt and Economic Growth führen Minsky und Irma Adelman dazu aus:
„In den entwickelten westlichen Volkswirtschaften ist die Staatsschuld einzigartig unter allen einkommensbringenden Vermögenswerten, die für private Wirtschaftseinheiten – einschließlich des Bankensystems – zur Verfügung stehen, da mit diesem Vermögenswert kein Ausfallrisiko verbunden ist“ (S. 9).
Dies entspricht der Position der MMT: Ein Staat, der über Währungssouveränität verfügt, unterliegt keinen finanziellen Beschränkungen, da er seine Ausgaben durch die Emission seiner eigenen Währung „finanziert" – in der Form von Zentralbankreserven. Für ihn besteht kein Ausfallrisiko und weil ihm nicht „das Geld zur Neige gehen“ kann, ist er dazu in der Lage, alle Waren und Dienstleistungen zu kaufen, die in seiner Währung zum Verkauf angeboten werden, einschließlich aller ungenutzten Arbeitskräfte.
Weil dies immer wieder missverstanden wird, dazu eine Anmerkung: Die These der MMT, dass ein monetär souveräner Staat nicht finanziell eingeschränkt ist, bedeutet keineswegs, dass ein solcher Staat unbegrenzt und nach Belieben Ausgaben vornehmen kann. Denn währungssouveräne Staaten sind mit realen Ressourcenbeschränkungen konfrontiert. Das heißt, auch ein Staat mit einer souveränen Währung hat in MMT-Sicht nur einen begrenzten fiskalischen Spielraum, der aber in dieser Theorie kein finanzielles, sondern ein reales Konzept darstellt: Die Fähigkeit eines souveränen Staates, Ressourcen zu mobilisieren, hängt von den realen Ressourcen (Arbeit, Produktionskapazität, Rohstoffe, Know-how) ab, die dem Land zur Verfügung stehen und die er mithin in Anspruch nehmen kann. Auch wenn ein Staat keinen finanziellen Einschränkungen unterliegt, kann er nicht kaufen, was es nicht zu kaufen gibt.
Treibt die Politik die Nachfrage über die volkswirtschaftlichen Produktionskapazitäten eines Landes hinaus, so dass der Nachfrage ein ungenügendes Angebot an Waren und Dienstleistungen gegenübersteht, kann dies Inflation verursachen. Möglich sind aber nicht nur inländische Angebotsbeschränkungen (z.B. ein Mangel an Produktionskapazitäten, dagegen eher selten an Arbeitskräften), sondern auch internationale (bei Unfähigkeit, die Güter zu importieren, die benötigt werden). Werden diese Mengenbeschränkungen ignoriert, kann dies Auswirkungen auf die Preise haben, also eine steigende inländische Inflation oder eine Währungsabwertung zur Folge haben.
Die Gebrauchswertseite staatlicher Ausgaben
Was allerdings bei Keynes, vielen (Post-) Keynesianern und selbst MMT’lern nicht selten zu kurz kommt, ist der Gebrauchswertaspekt der Staatsausgaben. Dies zeigt sich am deutlichsten an der Vorstellung, dass es im Prinzip unbedeutend sei, welche Ausgaben der Staat erhöhe, um die Nachfragelücke zu schließen, die mit einer Unterauslastung der volkswirtschaftlichen Kapazitäten und Arbeitslosigkeit einhergeht. Er könne Löcher in den Boden graben und wieder auffüllen, Pyramiden errichten oder aber die Infrastruktur ausbauen lassen – alles helfe gleichermaßen, eine Wirtschaftskrise zu überwinden. Zwar sprach sich Keynes in seiner „General Theory“ dafür aus, Arbeitsplätze bereitzustellen, die etwas „Vernünftiges“ schaffen (Keynes 1967, S. 220). Jedoch begründete er dies nicht ökonomisch und Joan Robinson, eine einflussreiche Schülerin von Keynes, warf ihm später sogar vor, dass er manchmal zu argumentieren scheint, dass „unproduktive Investitionen tatsächlich nützlichen Investitionen vorzuziehen“ seien (S. 275).
Hyman Minsky war in diesem Punkt eindeutig weiter. Offenbar hatte auch er zunächst geglaubt, dass der Staat Vollbeschäftigung (die er als eine gemessene Arbeitslosenquote von 3 Prozent definierte) durch eine allgemeine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage erreichen könne. In einem Artikel von 1968 änderte er jedoch seine Meinung: Er stellte nun fest, „dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass eine 'ungelenkte' Steigerung der Gesamtnachfrage die Aufgabe erfüllen wird, die sie – wie ich behauptet habe – erfüllen könnte“ (S. 329).
Die Relevanz der Art staatlicher Ausgaben
Minsky argumentiert nun, dass es entscheidend darauf ankomme, wofür der Staat Geld ausgebe. Das Problem besteht nach Minsky nicht darin, dass dem Staat das Geld ausgehen könnte, bevor er durch eine allgemeine Erhöhung der Gesamtnachfrage Vollbeschäftigung erreicht, sondern vielmehr darin, dass eine solche Politik zu unerwünschten Ergebnissen – insbesondere Inflation, aber auch Ungleichheit – führen kann. Mit anderen Worten: Die Auswirkungen auf die Wirtschaft hängen davon ab, wohin die Ausgaben gelenkt werden. Militärausgaben und Transfers bergen beispielsweise ein höheres Inflationsrisiko als Ausgaben, die die Produktion von Konsumgütern steigern. Minsky schreibt:
„Ein Arbeitnehmer, der Arbeitslosenunterstützung erhält, bezieht Gelder, ohne einen aktuellen Beitrag zur Produktion zu leisten. [...] Die Lohn- und Gehaltssumme für das Militär sowie die Einnahmen aus Rüstungsaufträgen sind empfangene Einkommen, die keinen Beitrag zur laufenden nützlichen Produktion leisten, und sind mindestens so inflationär wie Transferzahlungen“ (Minsky 1986, S. 20).
An anderer Stelle beklagt Minsky die hohen Verteidigungsausgaben der USA, die er nach der damaligen Definition des Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen korrekt als „kollektiven Konsum“ bezeichnet:
„Unsere große Regierung ist „groß“ wegen der Transferzahlungen und der Verteidigungsausgaben. [...] Abgesehen von der Beteiligung der Regierung an Bildung und Forschung unterstützen die grundlegenden Ausgabenprogramme der Regierung entweder den privaten Konsum oder sorgen für die Verteidigung, was ‚kollektiver Konsum‘ ist. Während unsere Bundesregierung mehr als 20 Prozent des Bruttosozialprodukts ausgibt, verschlechtert sich ein Großteil der physischen und intellektuellen Infrastruktur der Wirtschaft. Nur sehr wenig von den Ausgaben der Regierung schafft öffentliches Kapital, das die Produktivität des privaten Kapitals erhöht“ (Minsky 1982, S. xxiiif).
Die ökonomische Problematik von Militärausgaben
Anders als manche heutigen Ökonomen, wie beispielsweise der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Moritz Schularick, die sich mehr Wachstum und Wohlstand durch Rüstungsausgaben versprechen, erkannte Minsky also sehr klar, dass es sich bei Militärausgaben um unreproduktive Ausgaben handelt (auch wenn er diesen Begriff nicht verwendet), das heißt, um Ausgaben des Staates für unreproduktive Gebrauchswerte, wie hier erklärt. Als unreproduktiv werden diejenigen Gebrauchswerte bezeichnet, die nicht von neuem in den gesellschaftlichen Produktionsprozess eingehen, die sich weder in der gleichen noch in einer anderen stofflichen Form reproduzieren und die daher weder als Produktionsmittel noch als Lohngüter Verwendung finden.
Als reproduktiv ordnet man demgegenüber Staatsausgaben für reproduktive Gebrauchswerte ein, das heißt, für alle Gebrauchswerte, die erneut in den Produktionsprozess eingehen. Reproduktive Staatsausgaben dienen der gesellschaftlichen Reproduktion des Kapitals (beziehungsweise der Herstellung bestimmter allgemeiner Bedingungen dieser Reproduktion auf der Ebene des realen Produktionsprozesses) sowie der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeitskraft und steigern im Allgemeinen die Arbeitsproduktivität. Ein Beispiel sind Infrastrukturinvestitionen: Sie fördern – wie zahleiche Studien belegen – das Wachstum, da sie Brücken, Straßen-, Schienen- und Telekommunikationsnetze und anderes öffentliches Kapital schaffen, das die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft im Laufe der Zeit erhöht.
Minskys Einschätzung, dass von unreproduktiven Staatsausgaben für das Militär eine besondere Inflationsgefahr ausgeht, erscheint plausibel. In jedem Fall ist der inflationäre Effekt von Militärausgaben größer als derjenige reproduktiver Staatsausgaben, also etwa der genannten Ausgaben für Infrastruktur.
Denn kleinere, schnell einsatzbereite Infrastrukturprojekte führen zu einem Anstieg der Produktion, der einer Inflation entgegenwirkt. Größere Infrastrukturinvestitionen, deren Fertigstellung mehrere Jahre dauert – wie z.B. der Bau einer Brücke, eines Staudamms oder eines Flughafens –, können inflationär wirken, solange sie noch nicht abgeschlossen sind, aber wenn sie in Betrieb genommen werden, führen sie zu einer dauerhaften Zunahme der Produktion. Militärausgaben erhöhen die absetzbare Produktion weder kurzfristig noch langfristig. Insofern sind sie mit einem relativ großen Inflationsrisiko verbunden, tragen aber nichts zur nützlichen Produktion bei, wie es Minsky ausdrückt.
Unterstützung durch einen prominenten MMT‘ler
Interessant ist, dass L. Randall Wray, einer der Begründer der MMT, erst jüngst – in Anknüpfung an Minsky – eine stärkere Beachtung der Zusammensetzung der Staatsausgaben angemahnt hat. Der allgemeine Grundsatz des „functional finance“-Ansatzes von Abba Lerner, dass der Staat mehr ausgeben müsse, wenn Arbeitslosigkeit herrsche, reiche nicht; wichtig sei auch die Art der Ausgaben:
„Warum ist Minsky wichtig für die MMT? MMT-Anhänger müssen ein allzu abstraktes Theoretisieren vermeiden – wie z. B. Lerners ‚Lenkrad-Ansatz‘ für die Wirtschaft. Es ist eine Tendenz zu beobachten, eine „Einheitsgröße“ für Politikempfehlungen anzubieten – wie etwa höhere Defizite als Antwort auf ein schleppendes Wachstum. Wohin die Ausgaben gelenkt werden, kann aber wichtiger sein als das Ausmaß einer fiskalischen Reaktion – ob diese nun eine Steuersenkung oder eine Erhöhung der Ausgaben ist“ (S. 220; Hervorhebung durch den Verf.).
Hier lässt sich die MMT sinnvoll durch die in der politökonomischen Diskussion der späten 1970er und frühen 1980er Jahre entwickelte Differenzierung zwischen reproduktiven und unreproduktiven Staatsausgaben ergänzen (Stamatis 1977, Laaser 1977, Grunert 1982), die sich auf die Gebrauchswertseite der Staatsausgaben bezieht, wie oben erklärt.
Die Bedeutung der Finanzierungssalden
Auch wenn hierzulande die Unzufriedenheit mit der Schuldenbremse wächst, hat sich an der generellen Skepsis gegenüber Budgetdefiziten und Staatsverschuldung wenig geändert. Sie gelten nach wie vor als ein wirtschaftliches Übel, das die Regierungen – gleich welcher Couleur – einfach nicht in den Griff bekommen.
Hyman Minsky sah dies bereits im Jahr 1960 anders. Ihm war bewusst, dass die Defizite des Staates die Einnahmenüberschüsse des Privatsektors sind und daher die Höhe der staatlichen Verschuldung dem Netto-Geldvermögen des Privatsektors entspricht (wenn wir der Einfachheit halber vom Ausland abstrahieren). Folglich ist es nach Minsky/Adelman „offensichtlich, dass das Vorhandensein einer Staatsverschuldung bedeutet, dass […] das Reinvermögen (= Netto-Geldvermögen plus Sachvermögen, Anm. d. Verf.) der privaten Haushalte um den Marktwert der Staatsverschuldung größer ist als der Wert des Bestands an Gütern, die sich im Besitz des privaten Sektors befinden“ (S. 13).
Hier ist vielleicht eine etwas genauere Erklärung sinnvoll: Generell gilt auf der Geldvermögensebene, dass einer Ausgabe bei einem Wirtschaftssubjekt stets eine Einnahme bei einem anderen, an dieser Transaktion beteiligten Wirtschaftssubjekt gegenübersteht. Deshalb ist in einer offenen Volkswirtschaft, in der das Ausland als Sektor einbezogen ist, sowohl die Summe der Netto-Geldvermögen als auch die Summe aller (positiven und negativen) Netto-Geldvermögensänderungen immer gleich Null.
Das Netto-Geldvermögen jedes Wirtschaftsteilnehmers ändert sich durch seine Einnahmen und Ausgaben. Dabei sind in der Regel während eines bestimmten Zeitraumes die Einnahmen eines Wirtschaftssubjekts nicht gleich seinen Ausgaben. Wenn die Einnahmen überwiegen, liegt ein Einnahmenüberschuss (auch: Finanzierungsüberschuss) vor, der zu einer Zunahme des Netto-Geldvermögens führt. Umgekehrt ist ein Ausgabenüberschuss (auch: Finanzierungsdefizit) gleichbedeutend mit einer Abnahme des Netto-Geldvermögens.
Daraus folgt gleichzeitig, dass in jedem Zeitraum dem Einnahmenüberschuss eines Wirtschaftssubjekts oder Sektors ein gleich hoher Ausgabenüberschuss bei der Gesamtheit der anderen Wirtschaftssubjekte oder Sektoren gegenüberstehen muss. Oder anders gewendet: Die Summe der Finanzierungssalden – Finanzierungsüberschüsse und Finanzierungsdefizite – der volkswirtschaftlichen Sektoren beträgt stets Null.
Hyman Minsky hatte diese Zusammenhänge immer im Blick – lange, bevor sie zu einem zentralen Bestandteil der MMT wurden. So schreibt er in seinem Buch Stabilizing an Unstable Economy von 1986:
„Ein grundlegender Lehrsatz in der Volkswirtschaftslehre besagt, dass die Summe der realisierten Finanzierungsüberschüsse (+) und -defizite (–) über alle Wirtschaftseinheiten hinweg gleich Null sein muss. Dies ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass jedes Mal, wenn eine Wirtschaftseinheit Geld für den Kauf aus der laufenden Produktion zahlt, eine andere Einheit Geld erhält. Da die verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaft (z.B. Haushalte, Unternehmen, Staat und Finanzinstitute) Konsolidierungen elementarer Einheiten sind, gilt dieser Satz auch für die verschiedenen Aggregationen. Wenn die US-Bundesregierung 73,4 Mrd. Dollar mehr ausgibt, als sie an Steuern einnimmt, wie es im Jahr 1975 der Fall war, dann ist die Summe der Überschüsse und Defizite aller anderen Sektoren gleich einem Überschuss von 73,4 Mrd. Dollar“ (S. 26f).
Mit anderen Worten: Indem die US-Bundesregierung 73,4 Milliarden Dollar Ausgabenüberschüsse tätigte, hatten dadurch zwangsläufig die übrigen Sektoren 73,4 Milliarden Dollar Einnahmenüberschüsse und bildeten also in entsprechender Höhe Netto-Geldvermögen.
Während diese und andere saldenmechanischen Zusammenhänge bei Minsky und später auch in der MMT mit Recht eine wichtige Rolle spielen, werden sie von vielen heutigen Mainstream-Ökonomen oft schlicht ignoriert.
Die Hypothese der finanziellen Instabilität
Minskys Arbeiten helfen darüber hinaus, das Problem der finanziellen Instabilität in die MMT zu integrieren. Minsky zeigt auf, dass private Ausgaben, die auf privater Geldschöpfung (d. h. Kreditaufnahme und Verschuldung) beruhen, dazu neigen, finanzielle Fragilität und schließlich finanzielle Instabilität und Finanzkrisen zu erzeugen.
Minsky begann in den späten 1950er Jahren mit der Entwicklung seiner „Hypothese der finanziellen Instabilität“. Sie beschreibt die Transformation einer Volkswirtschaft von einer "robusten" zu einer "fragilen" Finanzierungsstruktur. Er fasst seine Überlegungen kurz und prägnant so zusammen: "Stabilität ist destabilisierend" (z.B. in Minsky 1982a, S. 26).
Damit meint Minsky, dass eine scheinbare Stabilität, die über einen längeren Zeitraum anhält, Finanzinstitute, Investoren und Unternehmer zu immer größerer Risikobereitschaft ermutigt. Die Bereitschaft, im Verhältnis zu den erwarteten Erträgen mehr und höhere Kredite aufzunehmen, steigt und es wird mit neuen, risikoreicheren Finanzinstrumenten experimentiert. Die Finanzinstitute finden zunehmend Wege, die Regulierungen zu umgehen; gleichzeitig lockern häufig die Regulierungsbehörden selbst die Vorschriften, weil sie glauben, dass die Abwärtsrisiken geringer geworden sind. All dies erhöht die finanzielle Fragilität und damit die Instabilität.
Minsky entwickelte eine Klassifizierung für die Fragilität von Finanzierungspositionen. Die sicherste Position wird als "Hedge" bezeichnet. Bei einer Hedge-Position reichen die erwarteten Einnahmen aus, um alle Zahlungen bei Fälligkeit zu leisten, sowohl die Zinsen als auch das Kapital. Eine "spekulative" Position ist eine Position, bei der die kurzfristigen Einnahmen ausreichen, um die Zinszahlungen zu leisten, aber ein „Roll-over“ der Kapitalsumme vorgenommen werden muss. Die betreffenden Akteure erwarten jedoch, dass die Einnahmen schließlich so weit steigen, dass das Kapital zurückgezahlt werden kann. Eine "Ponzi"-Position (benannt nach dem berühmten Betrüger Charles Ponzi, der ein Schneeballsystem betrieb) bezeichnet eine Position, bei der die kurzfristigen Einnahmen nicht ausreichen, um auch nur die Zinszahlungen zu begleichen, so dass die Schulden steigen, weil die Schuldner Kredite aufnehmen müssen, um die Zinsen zu zahlen. Solange die Zinssätze nicht fallen oder die Einnahmen nicht steigen, ist dies eine längerfristig unhaltbare Situation.
Nach Minsky setzt sich im Laufe einer anhaltenden Expansion bei Unternehmen und sogar Haushalten hinsichtlich der Finanzierungspositionen ein Wandel von großenteils Hedge- zu ständig steigenden Anteilen an spekulativen und sogar Ponzi-Positionen durch. Damit entsteht eine riskantere Finanzierungsstruktur, die deutlich krisenanfälliger vor allem bei Zinssatzsteigerungen oder Einnahmenausfällen ist. Kurz gesagt: Fortdauernde „gute Zeiten“ verringern die Risikoaversion, was die finanzielle Fragilität erhöht und die Wahrscheinlichkeit eines Finanzcrashs steigert (vgl. z.B. Minsky 1982 und 1986).
Während nach Ansicht der meisten traditionellen Ökonomen Krisen die Folge von "Schocks" oder politischen Fehlern sind, glaubt Minsky, dass sie durch die innere Dynamik des Wirtschaftssystems entstehen: „[…] die interne Dynamik einer kapitalistischen Wirtschaft führt zu Finanzierungsstrukturen, die Finanzkrisen und Einkommensinstabilität fördern“ (Minsky 1982a, S. 35).
Ein Fragezeichen bleibt
Die Bedeutung Hyman Minskys für die Entwicklung der „Modern Monetary Theory“ ist mithin beträchtlich und ließe sich noch um andere wichtige Beiträge ergänzen. Die eingangs erwähnte Relativierung der Relevanz Minskys durch Mitchell/Mosler ist folglich schwer nachzuvollziehen. Dies auch deshalb, weil mehrere bekannte MMT’ler (zum Beispiel Randy Wray oder Stephanie Kelton) ihre Beeinflussung durch Minsky ausdrücklich hervorgehoben haben.
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